Kategorie: Bücher

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Es ist sicher gut und richtig, die ärgsten Zumutungen der Welt von Kindern fernzuhalten. Ein Kindergartenkind muss noch nicht den Holocaust kennen, und auch das Wissen über Bürgerkriege, Tsunamis und Epidemien sollte man sparsam dosieren. Das sehe ich ein, das finde ich okay.

Der Heile-Welt-Mist jedoch, der in Bauernhofbüchern verbreitet wird, und zwar in ausnahmslos allen, die mir bisher unterkamen, der geht mir gehörig auf den Keks. Details über Quälmast oder den Einsatz von Bolzenschussgeräten wegzulassen, ist das eine. Das kann und sollte man gerne tun. Aber so dreist zu lügen, wie im gezeigten Beispiel, geht doch eindeutig zu weit und scheint auch unnötig, denn komplett entmündigen muss man ein Kind ja auch nicht.

Aber vielleicht täusche ich mich ja und das typische Schweineleben besteht tatsächlich aus lustigen Ballspielen in geräumigen Boxen. Zu wünschen wäre es ihnen.

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Abbildung aus: Was ist was Junior Band 1: Bauernhof, Tessloff Verlag 2007

Dein Internet ist besser. Meine Bibliothek auch.

Ich gebe zu, dass ich voreingenommen bin. Diesen Satz habe ich von Kathrin Passig geklaut. Ich stelle ihn ehrlicherweise an den Anfang, Frau Passig versteckt ihn  irgendwo in der Mitte ihres Artikels.

Wenn sich Bibliotheken nicht wandeln, schreibt Frau Passig, haben sie „kaum noch eine Existenzberechtigung“. Anders formuliert: Bibliotheken in ihrer heutigen Form werden kaum noch benötigt. Das ist eine interessante These Meinung, die man zum Beispiel mal mit den jährlich ca. 750.000 Nutzern der Hamburger Zentralbibliothek diskutieren könnte.

Ich weiß nicht, wann Frau Passig zuletzt in einer Bibliothek war. Ob sie das, was Funktionäre auf Diskussionspodien erzählen, für zutreffende Schilderungen der Realität hält. Dass sie „mit den internen Diskussionen der Bibliotheksbranche“ „nicht so vertraut“ ist, schreibt sie ja selbst – umso interessanter wäre es gewesen, auf welche Erfahrungen sie ihre Meinung stützt. Nur an einer Stelle schreibt sie, dass sie alt genug sei, um „die Suche in Papierbibliotheken aus eigener Anschauung zu kennen“. Das ist toll. Ich bin auch alt genug, um BTX zu kennen, beurteile aber danach nicht die heutige Onlinewelt. Frau Passig jedenfalls fordert einen Wandel, und zwar einen „grundsätzlichen“ (drunter machen wir’s ja heutzutage nicht). Schade nur: Im ganzen Artikel taucht kein einziger Gedanke dazu auf, wie dieser Wandel aussehen könnte.

Man muss nämlich leider feststellen: Der Artikel ist zuallererst eine Verächtlichmachung. Von „Papierverleih“ ist die Rede, von einem „Papiermuseum“, von „Regalen voller Papier“, von „großen Gebäude mit dem Papier“. Ja, denkt man irgendwann, ja, ist gut jetzt, ich habe es verstanden. Ärgerlich ist das vor allem deshalb, weil der Text das gar nicht nötig hätte, denn einige Argumente sind durchaus stichhaltig: Teilweise ist das Netz natürlich überlegen, Volltextsuche und „Einordnung in multiple Regale“ werden da völlig zu Recht genannt. Aber das ist eben nicht alles, und hier wird es ein wenig emotional. Denn wer Bücher als Kulturgut betrachtet, und nicht nur als Trägermedium für Content, kann zu einer nachdrücklich anderen Auffassung kommen.

Ich bin sicher privilegiert, denn ich habe mit der Hamburger Zentralbibliothek eine Einrichtung in der Nähe, wie ich sie mir besser nicht wünschen könnte. Sie ist mein zweites Zuhause, an freien Tagen ohne festen Plan oder Vorsatz lande ich am Ende meist genau dort. Vielleicht bin ich deshalb ein wenig angepisst, wenn man mir erklärt, dass es keine Gründe für den Fortbestand dieses Zuhauses gibt.

Diese Bücherei jedenfalls ist eine Wunderkammer riesigen Ausmaßes. Etwa zehn fünfzig Regalmeter mit Fotobänden gibt es dort, nach Künstlern sortiert. Den Großteil der Fotografen kenne ich nicht, ich lese die Namen auf den Buchrücken, werde neugierig, stöbere, schaue mich fest, staune. Teure Ausgaben stehen da, die man sich nie leisten würde, großformatig, auf schönem Papier gedruckt. Ein optischer und haptischer Genuss. Eine Etage tiefer, ebenso beeindruckend, die Abteilung „Kunst, Design und Comics“. Ich muss mir diese Bücher nicht ausleihen, aber ich kann sie mir vor Ort anschauen.  An dieser Stelle sind Bibliotheken tatsächlich Papiermuseen, und ich bin sehr dankbar dafür. Natürlich gibt es viele der Bilder auch im Internet zu sehen, jeder Künstler hat heute sein Portfolio im Netz, über Pinterest & Co. findet man sie und kann sie sich im Format von 800×600 Pixeln ansehen. Wem das reicht, der ist im Netz gut bedient. Mir reicht es nicht.

Und was ist eigentlich so schlimm an einem Papiermuseum? Für Frau Passig ist der Begriff des Museums vielleicht negativ konnotiert, altmodisch und verstaubt. Für mich ist er das nicht. Ich halte es für überaus zeitgemäß, Kulturgüter jedermann zugänglich und, hier kommen wir zum entscheidenden Punkt,  sinnlich erfahrbar zu machen.

Frau Passig hat Recht, wenn sie schreibt, dass „Bibliotheken ein Problem lösen, das in dieser Form nicht mehr existiert.“ Man muss den Satz aber richtig betonen: Es ist tatsächlich ein Problem, das dank des Internets nicht mehr besteht, nämlich der Zugang zu Verbrauchstexten. Zeitgenössische Belletristik etwa, die man schnell mal wegliest und für die auch kein dringender Archivierungsbedarf besteht. Ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten, oft lediglich karriererelevante Belegexemplare, für die Bibliotheken kaum mehr sind als öffentlich zugängliche Abwurf- und Lagerstellen. Und tatsächlich gibt es für beide Fälle seit langem etablierte Onlinelösungen, etwa die Elektronischen Zeitschriftenbibliotheken der Universitäten oder onleihe.net als Angebot der öffentlichen Bibliotheken.

Frau Passig hat unter Umständen auch Recht, wenn sie schreibt, dass das Netz eine bessere Zufallsfundmaschine ist. Aber vielleicht muss die Bibliothek das auch gar nicht sein. Das Netz als Ort der Zerstreuung, die Bibliothek als Ort der Sammlung – wäre das nicht eine schöne Aufgabenverteilung? Natürlich spielt da die mentale Disposition des Benutzers eine Rolle – für mich zum Beispiel kann und wird das Netz nie ein Ort der Kontemplation sein, die Jahrmarkthaftigkeit mit ihrer Vielzahl an Ablenkungen steht dem massiv entgegen. Anderen geht das sicherlich anders.

Dass Frau Passig Bibliotheken in der heutigen Form nicht benötigt, mag ja sein. Das ist völlig okay, ich will das gar nicht werten und freue mich für jeden, der in der Lage ist, sich die Welt erfahrbar zu machen, ohne den Blick vom Bildschirm lösen zu müssen. Die Argumentation jedoch, dass kulturelle Einrichtungen, die man persönlich nicht nutzt, auch gesamtgesellschaftlich überflüssig seien, das Herbeiimaginieren eines „Steuerzahlers“, der sich fragten könnte, ob das Geld nicht anderswo besser aufgehoben sei, kenne ich in dieser Schärfe nur von Menschen mit deutlich größerer Bildungsferne. Das irritiert mich.

In der Grundschule meines Sohnes wurde kürzlich eine neue Bücherei eingeweiht. Die Kinder dürfen sich dort selbständig Bücher ausleihen, es gibt gemütliche Leseecken und freundliche Bibliothekarinnen, es ist immer ein kleines Abenteuer, diesen Raum zu betreten, die Kinder tun das mit strahlenden Augen, gehen auf Entdeckungsreise, zeigen sich ihre Lieblingsbücher und erzählen sich Geschichten. Vielleicht nehmen sie ihre Freunde mit, die zuhause nicht mit Büchern in Kontakt kommen. Die Eltern haben diese Einrichtung unterstützt, mein Sohn ist nun stolzer Pate eines Kinderbuches, sein Name steht im Einband.

So ein Unsinn aber auch. Wo das Angebot im Internet doch viel niedrigschwelliger ist.

 


[ Weitere Beiträge zur Debatte gibt es bei Libreas, Archivalia und schneeschmelze ]

Remittendengentrifizierung

Bei der unvergleichlichen Isabel Bogdan las man kürzlich den Hinweis auf einen Lesebändchen-Shop, mit dessen Produkten sich bändchenlose Bücher schnell und problemlos aufwerten lassen. Ich halte ja den Lesebändchengeiz für eines der größten Übel des Buchmarktes, neben dem fast flächendeckenden Verschwinden des Leineneinbands. Drum sage ich: Tolle Sache, zumal für einen guten Zweck, ganz wunderbar, unbedingt bestellen.

Wir finanzschwachen Ästheten jedoch, die wir uns nicht an den fetten Trögen der Kulturindustrie mästen, sondern gezwungen sind, uns für kargen Lohn in der Privatwirtschaft zu verdingen, unsereins also könnte kurz zögern angesichts des Preises von ca. einem Euro pro Bändchen. Und stattdessen den nächstgelegenen Bastelladen betreten, um Viereuroachtunddzwanzig auszugeben für ein 10 Meter langes und 3 Millimeter breites Satinband und 5 Meter besonders stark haftendes doppelseitiges Klebeband in ebensolcher Breite – genug Material für ca. 35 Bücher.

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Zwei Minuten Arbeit gilt es dann zu investieren: Ein Schnipsel des Klebebandes wird an das Ende des Satinbandes appliziert, dieses bei geöffnetem Buch zwischen Buchrücken und Buchblock geführt und durch beherztes Zuklappen des Buches festgeklebt. Fertig.

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So lässt sich selbst das preiswerteste Mängelexemplar zu einem funkelnden Unikat veredeln. Und Geld haben wir gegenüber der konfektionierten Lösung auch noch gespart. Das können wir gleich in neue Bücher umsetzen.

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Comicfestival-Nachlese, Teil 1: Rotopolpress

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Die schönsten Comics des Landes kommen aus Kassel. Rotopolpress heißt der Verlag, Studenten der dortigen Kunsthochschule haben ihn 2007 gegründet und führen ihn seitdem mit einem beeindruckend guten Händchen für außergewöhnliche Produkte.

Das ist nicht nur eine Einzelmeinung, sondern seit Kurzem amtlich: Markus Färbers „Reprobus“, im letzten Jahr erschienen, schaffte es als einziger Comic auf die Liste der 25 schönsten deutschen Bücher (pdf), ausgewählt von der Stiftung Buchkunst. Die Stiftung schreibt in ihrer Begründung unter anderem:

“Es ist eine neue, eigene Erzählung des Autors und Zeichners zum Ursprungsmythos der Christophorus-Legende – ikonografisch angereichert, verwoben, rätselhaft, ja geradezu bildmagisch inszeniert. Überraschend, wie jahrhundertealter Erzählstoff, in der heutigen säkularen Welt als Märchen und Schummel in Vergessenheit geratend, zu dieser poetischen, modernen und künstlerischen Form umgearbeitet wurde. Die reduzierte Farbigkeit kündet das innere ungewöhnliche Farbklima mit starker Tiefen- und Lichtwirkung an, in dem haptischen Erlebnis des weichen und dennoch robusten Papieres versucht man, die Bilder zu begreifen.”

…und fasst damit noch einmal (in schöneren Worten) zusammen, was ich an den Veröffentlichungen von Rotopolpress so bemerkenswert finde: Die professionelle Bildsprache und das dramaturgische Geschick auf Autorenseite sowie die Beherrschung des Büchermachens als Handwerk auf Seiten des Verlages. Diese drei Talente kommen hier auf derart hohem Niveau zusammen, wie es bei Independentverlagen, zumal im deutschsprachigen Raum, selten ist.

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Die Bilder zeigen neben dem schon erwähnten „Reprobus“ Ausschnitte aus Jesse Jacobs’ im Mai erschienenen und nicht minder großartigen Band „Hieran sollst du ihn erkennen“, der detailverliebten Schilderung eines alternativen Schöpfungsmythos, voll mit rätselhaften Gestalten und Geschehnissen. Überhaupt ist die Vorliebe für mythologische, religiös inspirierte Stoffe auch bei anderen Titeln auffällig: Markus Färbers „Reprobus“ variiert, wie schon erwähnt, die Christopherus-Legende, Michael Meyers „Inferno“ zeigt uns Dantes Höllenphantasien, Max Baitinger widmet sich der Geschichte Heimdalls.

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Das könnte unangenehm sein, vor allem für gottlose Menschen wie mich, wenn es denn mit dem üblichen pathosgeschwängerten und frömmelnden Duktus daherkäme. Tut es aber nicht. Als Steinbruch für einfallsreiche Erzähler sind die alten Geschichten dagegen wunderbar geeignet. Rotopol und seine phantastischen Autoren beweisen es.

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