“Wenn ich vor einer Buchhandlung oder bei dem Laden eines Antiquars vorbei gehe, fühle ich jedesmal eine lebhafte Neigung, oft einen unwiderstehlichen Zug, hinzutreten und die aufgespeicherte Weisheit durchzumustern. Nicht selten wird das, was mich am meisten anzieht, mein Eigenthum. Ich habe mich oft deshalb getadelt, da ich mit Lichtenberg einsehe, daß ein Louisd’or in der Tasche besser ist, als zehn in dem Bücherschranke. Auch habe ich schon oft fromme Vorsätze in diesem Betrachte gefaßt; aber die Versuchung ist zu groß, besonders wenn die Bücherweisheit — wie es in großen Städten der Fall ist — an allen Ecken angeboten wird. Einen Trost habe ich jedoch dabei, nämlich den, daß ich die Bücherliebe mit Vielen theile.
Bücher haben etwas sehr Anziehendes, und gar oft interessirt uns ein Buch weit mehr als ein Mensch. Schwerlich dürfte jemand, der über die böotische Gleichgültigkeit hinaus ist, ein Buch auf einem Tische liegen sehen, ohne nach dem Titel zu blicken, sobald es nur mit Beobachtung des Schicklichen geschehen kann. Wie stark der Bücherreiz wirkt, sehen wir schon aus dem Behalten geborgter Bücher, wozu gar Viele geneigt sind.
Ganz besonders zeigt sich dieser Reiz bei den Buchersüchtigen, den Bibliomanen, — Menschen, die an einer Art litterarischer Nervenkrankheit leiden. Es wäre «in ganz unglaubliches Beispiel von Büchersucht oder — wie es die Engländer noch schärfer bezeichnen — Bookmadness, wenn es nicht 1812 in London sich wirklich ereignet hätte, daß der Marquis von Blandfort für ein seltenes, keinesweges aber elegantes Exemplar von Boccaccios Decameron in einem Quartbande, die Summe von 2260 Pfund Sterling, also nach unserm Gelde ungefähr 4000 Mark, bezahlte. Wie nüchtern, ja wie schal ist unsere Bücherliebe dagegen!
Die Lust an Büchern ist aber keinesweges bei den Männern allein zu finden. Nicht nur der Prophet Hesekiel verschlang eine Bücherrolle — und zwar auf göttlichen Befehl, — sondern auch unsere Damen verschlingen manches Buch, und vergessen dabei mitunter die ganze sie umgebende und auf sie wartende häusliche Wirklichkeit, wenn ein Roman von Walter Scott oder Lafontaine in ihre Hände gerathen ist. Die Bibliophilie oder Bücherliebe zeigt sich jedoch bei den Damen nicht sowohl im Anschaffen der Bücher, als im Besitzen derselben. Sie machen es dabei nicht selten mit ihren Handbibliotheken, wie mit ihren Uhren: beide werden nicht gebraucht, wozu sie bestimmt sind; aber beide besitzt und zeigt man gern.
Sogar auf die Insecten erstreckt sich unverkennbar die Freude an Büchern. In den trockensten wissenschaftlichen Werken finden sich sogenannte Bücherwürmer, die doch gewiß nur aus unschuldiger Neigung, und nicht aus Gefräßigkeit hier sind, weil sie sonst weit mehr von ihrer Umgebung verzehren würden.
Woher kommt nun dieser mächtige Reiz, den die Bücher so auffallend haben und äußern? Ich weiß wohl, es giebt allzeitfertige Erklärer, welche diese Neigung zu litterarischen Werken bald aus der ästhetischen Schönheit oder scientivischen Wichtigkeit des Buches; bald aus dem Wunsche, sich von der unangenehmen Wirklichkeit zu entfernen; bald aus der Eitelkeit, die sich bei beiden Geschlechtern, findet, mit der Lectüre zu prunken, und bald aus krankhafter Manie erklaren wollen. Aber diesen Erklärungen fehlt nicht nur die Einheit des Princips, sondern sie sind auch oberflächlich und unzureichend, was sich schon daraus ergiebt, daß oft mehrbändige Werke mit großer Begierde gelesen werden, die man nach der Beendigung ganz und gar nicht vorzüglich findet.
Das Leben in und mit Büchern ist unleugbar ein höheres Leben. Es ergreift den Menschen mit einem wunderbaren Interesse; es regt ihn an und füllt oft ein ganzes Dasein immer anziehend aus, wie wir dieses bei manchen Gelehrten und Einsamlebenden sehen. Der Grund dieser Erscheinung liegt gewiß tiefer in der Natur des Menschen gegründet, als es gewöhnlich scheint; ich wundere mich daher, daß noch kein Naturphilosoph die wissenschaftliche Lösung dieses Problems versucht hat.
Es war unserm Kränzchen vorbehalten, eine wichtige Entdeckung zu Tage zu fördern, durch welche jene fast allgemein verbreitete Bibliophilie nicht nur genügend begründet und erklärt, sondern auch ihre Verbindung mit andern großen Naturerscheinungen nachgewiesen wird. Ich darf mit Pythagoras rufen: “Heureka! heureka! Ich hab’ es gefunden!” wenn ich auch bei meiner Entdeckung nicht, wie er, eine Hekatombe opfere. Meine Entdeckung besteht darin: Es giebt einen Bücher-Magnetismus, der mit dem animalischen oder Lebens – Magnetismus gleichen Gesetzen unterworfen ist; nur daß bei diesem sich die Wirkungen mehr physisch, bei jenem aber mehr psychisch äußern. Bücher sind magnetische Apparate, und Schriftsteller, besonders Dichter und Redner (auch die letztern müssen wir, nach unserer Theorie , hierher rechnen), sind litterarische Magnetiseurs, die sich mit gar Vielen in Rapport zu setzen und dadurch folgenreich zu wirken verstehen.”
Aus: Trifolium. Ueber Prophetismus, Zahlensymbolik und Bücherreiz. Von Dr. M. Fraenkel. Hamburg, bei Friedrich Perthes. 1832
(Dies ist es, wofür ich das Internet liebe: Dass man beim absichtslosen Stöbern auf solche zauberhaften Dinge stößt, dann ein wenig recherchiert und in einer halben Stunde genug Wissen über den Autor und sein Umfeld sammelt, um einen Wikipediaeintrag schreiben zu können. Der im Übrigen tatsächlich fehlt.
Maimon Fraenkel heißt der Autor, ein jüdischer theologischer Schriftsteller und Vorsitzender des Hamburger Tempelvereins war er und ein “wichtiger Vorkämpfer der jüdischen Emanzipation und Integration”. Der verlinkte Text erschien noch einmal 1994 anlässlich der Nordischen Antiquariatsmesse Hamburg als Faksimile in einer 500er-Auflage und ist noch immer antiquarisch erhältlich.
Man kann das Buch allerdings auch bei Google Books als PDF runterladen. Noch so eine Sache, für die ich das Internet liebe.)