Habmann: Eine Kleinigkeit für die Dame

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Ich mag Vintage-Uhren ja aus mancherlei Gründen. Neben der Tatsache, dass mir die alten Ticker, vor allem wenn sie aus den Siebzigern stammen, einfach besser gefallen als die heutigen Uhren, wäre da noch der mehrfache Nachhaltigkeitsaspekt: Dass nämlich Gebrauchtware das Konsumkarussell ein wenig langsamer rotieren lässt, dass mechanische Uhren keinen Energielieferanten benötigen außer dem Träger selbst und dass für das lokale Handwerk in Form des Uhrmachers gelegentlich noch der eine oder andere Taler abfällt.

Und wenn die Uhr, die man vor sich auf dem Tisch oder an seinem Handgelenk hat, auch noch eine Geschichte mitbringt oder man ihr die Wertschätzung ansieht, die die vorherige Besitzerin ihr entgegengebracht hat, rundet sich das Bild vollends.

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Diese Uhr hat eine Geschichte. Erzählen möchte ich sie hier nicht. Und dass sie wertgeschätzt wurde, erkennt man auf Anhieb: So gern und häufig wurde sie offenbar getragen, dass von der Vergoldung kaum noch etwas übrig und das Buntmetall in seiner ganzen Patchworkhaftigkeit flächendeckend durchgebrochen ist.

Hersteller der Uhr ist die Firma Karl Habmann aus Pforzheim, einer der unzähligen Uhrenproduzenten, die Mitte des letzten Jahrhunderts in diesem Ort ansässig waren und von denen nicht mehr viele übrig geblieben sind. Die Firma Habmann gibt es jedoch noch immer, auch wenn ihr Sortiment und ihr Webauftritt ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein scheinen.

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Winzig ist das gute Stück, keine 23 Millimeter im Durchmesser. Eher eine Frackuhr also als eine Taschenuhr. Da passt natürlich nur ein Damenuhrwerk hinein. Ein FHF ist es hier, wie man an der Punze auf der Unruhbrücke erkennt, also ein Werk des Schweizer Rohwerkeherstellers Fabrique d’Horlogerie de Fontainemelon, und zwar eines aus der 6x-er Reihe, die mindestens seit den frühen Fünfzigern bis in die Achtziger mit kleinen konstruktiven Veränderungen hergestellt wurde. Die hier verbaute Version ist ein siebzehnsteiniges FHF 69-INT mit 21.600 Halbschwingungen je Stunde, das letzte dieser Reihe, laut Ranfft um 1980 produziert. Die Uhr ist also jünger, als man zunächst meint.

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Dieses ungefähre Herstelldatum passt sehr gut zu den Reparatursignaturen, die man im Inneren des Bodendeckels findet. Dort erfahren wir, dass ein Uhrmacher T. die Uhr im November 1982, im Februar 1983 und im Dezember 1986 auf dem Tisch hatte. Die Ursache kennen wir nicht, da jeder Uhrmacher dafür seine eigene Art der Codierung entwickelt hat – hier sind es merkwürdige Kringel hinter dem ersten und dem letzten Datum. Bemerkenswert ist aber schon, dass dieser niedrigpreisigen Uhr drei Werkstattbesuche zugebilligt wurden, statt sie beim ersten Defekt einfach zu verschrotten und durch einen zuverlässigen Quarzticker zu ersetzen, was selbst damals schon wirtschaftlich sinnvoller gewesen sein dürfte. Hatte die Uhr also eine sentimentale Bedeutung für die Besitzerin? Fast scheint es so.

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Optisch gibt es also einiges zu tun an dem Schmuckstück, technisch ist es seinem Alter gemäß jedoch okay: Auf der Zeitwaage zeigt sich ein Vorgang von mehr als einer Minute pro Tag und eine mäßige, aber ausreichende Amplitude. Das lässt sich sicher noch regulieren.

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Zunächst wird die Uhr aber ausgeschalt, um bei der Gehäusebearbeitung das Innenleben nicht zu gefährden. Dann erfolgt eine kräftige Politur mit allerlei Pasten. Auf die nicht mehr existierende Vergoldung muss man keine Rücksicht mehr nehmen, sondern kann beherzt versuchen, zumindest das Buntmetall zum Schimmern zu bringen und die Kratzer im Plexiglas zu entfernen. Das gelingt letztlich besser als gedacht – das Gehäuse (Kupfer?) glänzt beinahe wie Rotgold, der Bodendeckel (Messing?) wie Gelbgold, das Plexi ist am Ende gänzlich kratzerfrei und beinahe wie neu.

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Und auch das Gangverhalten lässt sich auf einen sehr akzeptablen Wert von 3 Sekunden Nachgang pro Tag verbessern. Das ist schön. Jetzt fehlt nur noch eine schicke Kette und das Schmuckstück kann wieder stolz ausgeführt werden.

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Kategorien: Uhren

5 Kommentare

  1. Ich heul gleich. Danke. Sehr.

  2. Inge, der die Uhr gehört hat, hätte sich sehr über diese Akribie und Wertschätzung gefreut. Ehrlich, das hätte ihr gefallen, dass sich ein echter Nerd in die Details des Uhrwerks vertieft und alles wieder schönmacht. Sie war auch ein Nerd. Ein word nerd.

  3. Es war mir ein Vergnügen.

  4. Aus jedem Satz leuchtet Können und Begeisterung für die Arbeit und die Arbeit derer, die vor ihm waren. Ich bin froh, dass es Menschen wie twschneider gibt. Und auch ein bißchen froh, dass es Menschen wie Isabo gibt, die sich ein Erbstück auf diese Weise zu eigen machen.

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