Kategorie: Allgemein

Dein Internet ist besser. Meine Bibliothek auch.

Ich gebe zu, dass ich voreingenommen bin. Diesen Satz habe ich von Kathrin Passig geklaut. Ich stelle ihn ehrlicherweise an den Anfang, Frau Passig versteckt ihn  irgendwo in der Mitte ihres Artikels.

Wenn sich Bibliotheken nicht wandeln, schreibt Frau Passig, haben sie „kaum noch eine Existenzberechtigung“. Anders formuliert: Bibliotheken in ihrer heutigen Form werden kaum noch benötigt. Das ist eine interessante These Meinung, die man zum Beispiel mal mit den jährlich ca. 750.000 Nutzern der Hamburger Zentralbibliothek diskutieren könnte.

Ich weiß nicht, wann Frau Passig zuletzt in einer Bibliothek war. Ob sie das, was Funktionäre auf Diskussionspodien erzählen, für zutreffende Schilderungen der Realität hält. Dass sie „mit den internen Diskussionen der Bibliotheksbranche“ „nicht so vertraut“ ist, schreibt sie ja selbst – umso interessanter wäre es gewesen, auf welche Erfahrungen sie ihre Meinung stützt. Nur an einer Stelle schreibt sie, dass sie alt genug sei, um „die Suche in Papierbibliotheken aus eigener Anschauung zu kennen“. Das ist toll. Ich bin auch alt genug, um BTX zu kennen, beurteile aber danach nicht die heutige Onlinewelt. Frau Passig jedenfalls fordert einen Wandel, und zwar einen „grundsätzlichen“ (drunter machen wir’s ja heutzutage nicht). Schade nur: Im ganzen Artikel taucht kein einziger Gedanke dazu auf, wie dieser Wandel aussehen könnte.

Man muss nämlich leider feststellen: Der Artikel ist zuallererst eine Verächtlichmachung. Von „Papierverleih“ ist die Rede, von einem „Papiermuseum“, von „Regalen voller Papier“, von „großen Gebäude mit dem Papier“. Ja, denkt man irgendwann, ja, ist gut jetzt, ich habe es verstanden. Ärgerlich ist das vor allem deshalb, weil der Text das gar nicht nötig hätte, denn einige Argumente sind durchaus stichhaltig: Teilweise ist das Netz natürlich überlegen, Volltextsuche und „Einordnung in multiple Regale“ werden da völlig zu Recht genannt. Aber das ist eben nicht alles, und hier wird es ein wenig emotional. Denn wer Bücher als Kulturgut betrachtet, und nicht nur als Trägermedium für Content, kann zu einer nachdrücklich anderen Auffassung kommen.

Ich bin sicher privilegiert, denn ich habe mit der Hamburger Zentralbibliothek eine Einrichtung in der Nähe, wie ich sie mir besser nicht wünschen könnte. Sie ist mein zweites Zuhause, an freien Tagen ohne festen Plan oder Vorsatz lande ich am Ende meist genau dort. Vielleicht bin ich deshalb ein wenig angepisst, wenn man mir erklärt, dass es keine Gründe für den Fortbestand dieses Zuhauses gibt.

Diese Bücherei jedenfalls ist eine Wunderkammer riesigen Ausmaßes. Etwa zehn fünfzig Regalmeter mit Fotobänden gibt es dort, nach Künstlern sortiert. Den Großteil der Fotografen kenne ich nicht, ich lese die Namen auf den Buchrücken, werde neugierig, stöbere, schaue mich fest, staune. Teure Ausgaben stehen da, die man sich nie leisten würde, großformatig, auf schönem Papier gedruckt. Ein optischer und haptischer Genuss. Eine Etage tiefer, ebenso beeindruckend, die Abteilung „Kunst, Design und Comics“. Ich muss mir diese Bücher nicht ausleihen, aber ich kann sie mir vor Ort anschauen.  An dieser Stelle sind Bibliotheken tatsächlich Papiermuseen, und ich bin sehr dankbar dafür. Natürlich gibt es viele der Bilder auch im Internet zu sehen, jeder Künstler hat heute sein Portfolio im Netz, über Pinterest & Co. findet man sie und kann sie sich im Format von 800×600 Pixeln ansehen. Wem das reicht, der ist im Netz gut bedient. Mir reicht es nicht.

Und was ist eigentlich so schlimm an einem Papiermuseum? Für Frau Passig ist der Begriff des Museums vielleicht negativ konnotiert, altmodisch und verstaubt. Für mich ist er das nicht. Ich halte es für überaus zeitgemäß, Kulturgüter jedermann zugänglich und, hier kommen wir zum entscheidenden Punkt,  sinnlich erfahrbar zu machen.

Frau Passig hat Recht, wenn sie schreibt, dass „Bibliotheken ein Problem lösen, das in dieser Form nicht mehr existiert.“ Man muss den Satz aber richtig betonen: Es ist tatsächlich ein Problem, das dank des Internets nicht mehr besteht, nämlich der Zugang zu Verbrauchstexten. Zeitgenössische Belletristik etwa, die man schnell mal wegliest und für die auch kein dringender Archivierungsbedarf besteht. Ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeiten, oft lediglich karriererelevante Belegexemplare, für die Bibliotheken kaum mehr sind als öffentlich zugängliche Abwurf- und Lagerstellen. Und tatsächlich gibt es für beide Fälle seit langem etablierte Onlinelösungen, etwa die Elektronischen Zeitschriftenbibliotheken der Universitäten oder onleihe.net als Angebot der öffentlichen Bibliotheken.

Frau Passig hat unter Umständen auch Recht, wenn sie schreibt, dass das Netz eine bessere Zufallsfundmaschine ist. Aber vielleicht muss die Bibliothek das auch gar nicht sein. Das Netz als Ort der Zerstreuung, die Bibliothek als Ort der Sammlung – wäre das nicht eine schöne Aufgabenverteilung? Natürlich spielt da die mentale Disposition des Benutzers eine Rolle – für mich zum Beispiel kann und wird das Netz nie ein Ort der Kontemplation sein, die Jahrmarkthaftigkeit mit ihrer Vielzahl an Ablenkungen steht dem massiv entgegen. Anderen geht das sicherlich anders.

Dass Frau Passig Bibliotheken in der heutigen Form nicht benötigt, mag ja sein. Das ist völlig okay, ich will das gar nicht werten und freue mich für jeden, der in der Lage ist, sich die Welt erfahrbar zu machen, ohne den Blick vom Bildschirm lösen zu müssen. Die Argumentation jedoch, dass kulturelle Einrichtungen, die man persönlich nicht nutzt, auch gesamtgesellschaftlich überflüssig seien, das Herbeiimaginieren eines „Steuerzahlers“, der sich fragten könnte, ob das Geld nicht anderswo besser aufgehoben sei, kenne ich in dieser Schärfe nur von Menschen mit deutlich größerer Bildungsferne. Das irritiert mich.

In der Grundschule meines Sohnes wurde kürzlich eine neue Bücherei eingeweiht. Die Kinder dürfen sich dort selbständig Bücher ausleihen, es gibt gemütliche Leseecken und freundliche Bibliothekarinnen, es ist immer ein kleines Abenteuer, diesen Raum zu betreten, die Kinder tun das mit strahlenden Augen, gehen auf Entdeckungsreise, zeigen sich ihre Lieblingsbücher und erzählen sich Geschichten. Vielleicht nehmen sie ihre Freunde mit, die zuhause nicht mit Büchern in Kontakt kommen. Die Eltern haben diese Einrichtung unterstützt, mein Sohn ist nun stolzer Pate eines Kinderbuches, sein Name steht im Einband.

So ein Unsinn aber auch. Wo das Angebot im Internet doch viel niedrigschwelliger ist.

 


[ Weitere Beiträge zur Debatte gibt es bei Libreas, Archivalia und schneeschmelze ]

Links am Sonntag: Hamburg & so

Starten wir mit der wichtigsten Frage, nämlich der Frage nach dem Hamburger an sich: Was is das für’n Typ, wie is der so druff? Das folgende Video erklärt es.

Ja, so sind wir hier alle. Und nach Abklingen der ersten Fassungslosigkeit können Sie noch einen Blick auf die Auflösung werfen. Aber wahrscheinlich kennen Sie das alles schon längst.

Weiter geht’s mit einem der beliebten Tumblogs, die uns die Welt (a.k.a. Hamburg) in lustigen GIFs erklären: When you really live in Hamburg.

Der sehr wohlwollende Blick eines zugereisten Briten auf die Stadt lässt sich auf dem Tumblog Hamburg in English verfolgen. Das Café Brooks, das der Kollege empfiehlt, muss ich dringend mal ausprobieren.

Ein Fotoprojekt, dass wohl nicht auf den Seiten des Hamburger Tourismusverbandes verlinkt sein dürfte: Them Bridges von Matthias Winkel. Es zeigt, nun ja, Brücken. Hamburger Brücken. Und zwar alle. So zumindest der Anspruch. Doch, kann man machen.

Aus der Abteilung “Wo ich schon immer mal hin wollte”: Das Deutsche Zusatzstoffemuseum im Hamburger Hafen. Zitat: “Im Deutschen Zusatzstoffmuseum werden die Funktionen von Emulgatoren und Stabilisatoren, von Farb- und Konservierungsstoffen, von Aromen, Backmitteln und Geschmacksverstärkern anhand alltäglicher Produkte erläutert. Herstellung sowie Risiken und Nebenwirkungen – soweit bekannt – werden ebenfalls thematisiert.” Es gibt noch so viel zu lernen!

Die heutige Linksammlung wird etwas videolastig, aber dieses Kleinod über die Jugend von heute gestern möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Vier bis fünf Flaschen Bier am Abend! Das muss man sich mal vorstellen!

Zur Entspannung ein paar Fotos von Hamburgs neuester und schönster U-Bahn-Haltestelle: Hafen City Universität.

Hamburg für die heimische Wand: Die schönsten Städteposter gibt’s natürlich bei Human Empire. Aber auch Nina Wilsmanns Stadtplan macht was her. Am besten gleich alle kaufen.

Und man muss natürlich über Lampedusa sprechen. Über die in Hamburg gestrandeten Flüchtlinge. Über die berührende Hilfsbereitschaft so mancher Hamburger. Über das zutiefst unanständige, unhanseatische Verhalten des Senats. Darüber, dass gestern zehntausend Menschen auf den Straßen unterwegs waren. Und man wünscht sich, dass all die Süppchenkocher, Prinzipienreiter und Bürokraten sich informieren über die Menschen, über die sie urteilen und dass dieses Video mehr als die bislang 6.132 Visits bekommt.

Und für alle, die es bis hierhin ausgehalten haben: Etwas Musik.

Remittendengentrifizierung

Bei der unvergleichlichen Isabel Bogdan las man kürzlich den Hinweis auf einen Lesebändchen-Shop, mit dessen Produkten sich bändchenlose Bücher schnell und problemlos aufwerten lassen. Ich halte ja den Lesebändchengeiz für eines der größten Übel des Buchmarktes, neben dem fast flächendeckenden Verschwinden des Leineneinbands. Drum sage ich: Tolle Sache, zumal für einen guten Zweck, ganz wunderbar, unbedingt bestellen.

Wir finanzschwachen Ästheten jedoch, die wir uns nicht an den fetten Trögen der Kulturindustrie mästen, sondern gezwungen sind, uns für kargen Lohn in der Privatwirtschaft zu verdingen, unsereins also könnte kurz zögern angesichts des Preises von ca. einem Euro pro Bändchen. Und stattdessen den nächstgelegenen Bastelladen betreten, um Viereuroachtunddzwanzig auszugeben für ein 10 Meter langes und 3 Millimeter breites Satinband und 5 Meter besonders stark haftendes doppelseitiges Klebeband in ebensolcher Breite – genug Material für ca. 35 Bücher.

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Zwei Minuten Arbeit gilt es dann zu investieren: Ein Schnipsel des Klebebandes wird an das Ende des Satinbandes appliziert, dieses bei geöffnetem Buch zwischen Buchrücken und Buchblock geführt und durch beherztes Zuklappen des Buches festgeklebt. Fertig.

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So lässt sich selbst das preiswerteste Mängelexemplar zu einem funkelnden Unikat veredeln. Und Geld haben wir gegenüber der konfektionierten Lösung auch noch gespart. Das können wir gleich in neue Bücher umsetzen.

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Post aus den Siebzigern: Eine farbenfrohe Ricoh Automatik

“Wenn schon Porno, dann Hardcore”, sagte einst ein weiser Mann, und dieser Satz lässt sich wunderbar auf Uhren übertragen, zumal auf solche aus den Siebzigern. Aber der Reihe nach.

Schon seit einiger Zeit bewundere ich die nahezu vollständige Abwesenheit von gutem Geschmack bei einschlägigen 70er-Jahre-Uhren der japanischen Marke Ricoh. Das hält man ja auf Dauer nicht aus, daher musste ein solches Prachtstück her, und es fand sich, wie das bei Ricoh meist so ist, in Indien. Also machte sich ein feines Exemplar für fast kein Geld auf seine Reise um den halben Planeten, während in Hamburg ein Herr Schneider gespannt wartete, und zwar vier Wochen lang. Man hört ja viel von der Kunst der indischen Uhrenrestauration, und nicht nur Gutes. Aber ich hatte die Bilder, wie vom Verkäufer empfohlen, aufmerksam studiert, ich hatte die Beschreibung ebenso aufmerksam gelesen und wusste zumindest, dass das Werk läuft, das Gehäuse poliert wurde und das Ziffernblatt wohl nicht in die Hände minderjähriger Mundmaler niederer Kasten gefallen war. Also alles gut?

Um es zusammenzufassen: Man bekommt genau was man bezahlt. Mehr jedoch nicht.

  • Das Plexiglas fiel mir als erstes entgegen, das war nämlich etwas zu klein. Machte nichts, Ersatz gab es in meinem Fundus.
  • Den Armierungsring haben sie ganz weggelassen. Stört aber nicht weiter.
  • Der Sekundenzeiger war schief gesetzt und stieß mit dem Minutenzeiger zusammen. Das war schnell korrigiert.
  • Das Werk, ein Ricoh-Manufakturkaliber R61, klapperte im Gehäuse, da eine Werkhalteschraube fehlte. Auch hier fand sich in meinem Fundus schnell Abhilfe.
  • Selbstverständlich fehlte die Bodendichtung. Aber auch das war egal – habe ich schon meinen Fundus erwähnt?
  • Die Wochentagsschaltung war defekt. Dieses Problem ist noch nicht gelöst. Dramatisch finde ich es allerdings nicht, denn keine meiner Uhren zeigt das richtige Datum. Viel zu mühsam für tägliche Wechsler wie mich.
  • Lobend erwähnen muss man die Gehäuseaufarbeitung. Auch wenn sie einige kleinere Unsauberkeiten zeigt und die Kanten natürlich leicht gerundet daherkommen, finde ich es erstaunlich, in welcher Qualität die Satinierung auf der Oberseite wieder hergestellt wurde. Da ziehe ich meinen Hut.

Jemand ohne Basiskenntnisse und -werkzeuge hätte die Zwiebel wohl zu Recht reklamiert und sich ordentlich geärgert. Ich jedoch kann wunderbar mit den Problemchen leben, habe ich doch nun eine Uhr wie keine zweite: Weinrotes Farbverlaufsziffernblatt! Goldene Klötzchen! Kantiges, asymmetrisches Edelstahlgehäuse! Hach!

Aber jetzt genug erzählt und Bilder gezeigt.

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